POLITIK UND MEDIEN .de
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Dr. Daniel Delhaes

1. Einleitung

1.1. Untersuchungsgegenstand

Seit geraumer Zeit verstärkt sich in der klassischen Politikwissenschaft der Ein­druck, Medien spielten eine Rolle im politischen System, die nicht nur bedeutsamer werde, sondern bedenkliche Ausmaße erreiche.1 Gleichzeitig ist relativ wenig darüber bekannt, ob Medien tatsächlich diesen Einfluss auf die Politik besitzen, der ihnen unterstellt wird. Der Einfluss der Meinungsforschung auf die Politik in Pra­xis und Wissenschaft wird dabei seit langem thematisiert, „über die Wirkung der Wirkungsforschung auf die Kommunikations- und Medienpolitik wird erst seit wenigen Jahren nachgedacht und geforscht.“2 Bewusst ist dagegen, dass Kommuni­kation für das Funktionieren von Politik immer wichtiger wird. Damit steigt auch der Bedarf an Informations- und Kommunikationsleistungen und damit auch an Politikvermittlung.3

Politik bedarf in Demokratien, der öffentlichen Begründung; nur so sichert sie ihre Legitimation. Dies geschieht zu einem erheblichen Teil über die Medien. Der Einfluss der Medien wird mittlerweile als so stark erachtet, dass sich Machterwerb oder Machtverlust vor allem darüber bestimme, wer sich am besten in den Medien platziere und von den Medien platziert werde - Politik sei regelrecht abhängig von Medien, wie etwa Siller und Pitz vermuten.4 „Auf Mediengeschicklichkeit und Medienpräsenz kann dabei auch derjenige nicht verzichten, der auf politische In­halte aufmerksam machen will.“5

Über das Zusammenspiel von Politik und Medien liegen aus politikwissen­schaftlicher Perspektive zwar Erkenntnisse vor, diese aber kaum in dem Maße, als dass daraus weitreichende und praxisrelevante Ergebnisse zum Verhältnis von Politik und Medien ermittelt werden könnten. Eine Auseinandersetzung mit dem Untersuchungsgegenstand Medien findet nur marginal statt und wenn, dann unter der Fragestellung, welchen politischen Repressionen Medien ausgesetzt sind und waren, welche rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen existieren oder wie die tatsächliche der Presse- und Rundfunklandschaft verlief.6 Ein weiterer Bereich ist und war für die Wirkungsforschung von Interesse: Es wurde gefragt, inwiefern die Medien Wahlen beeinflussen können, welche Wirkung sie also besitzen.7 Dagegen wurde bei der Wahlforschung konsequenterweise nicht auf den politischen Alltag, also die Zeit zwischen der einen und der anderen Wahl, abgestellt. Diese Periode ist jedoch mindestens ebenso von Interesse, werden während ihrer Dauer doch maßgebliche politische Entscheidungen gefällt.

Ein Grund für die Zurückhaltung der Politikwissenschaft ist die Tatsache, dass sie in der Vergangenheit das Untersuchungsfeld Medien der Kommunikationswissenschaft überlassen hat..8 „Auf welche Weise die Massenmedien in politische Prozesse eingreifen und politische Strukturen verändern, ist bisher erst in Ansätzen untersucht worden. Das liegt einerseits daran, dass der Kommunikationswissenschaft die Problemstellungen und Kategorien politikwissenschaftlicher Forschung oft fremd sind; andererseits werden das Phänomen Massenkommunikation und die kommunikationswissenschaftliche Forschung von der Politikwissenschaft nur wenig beachtet.“9 Dies bedeutet aber nicht, dass die Ergebnisse der Kommunikationswissenschaften unerheblich für Politik sind. Erkenntnisse über die Medien haben durchaus Bedeutung für die Politikwissenschaften. Als Beispiel kann hier die Definition zu den Funktionen der Medien dienen. Die Kommunikationswissenschaft etwa identifiziert als Funktion der Medien „Unterhaltung“.10 Die Politikwissenschaft dagegen macht im Wesentlichen drei Grundfunktionen der Medien im politischen System der Bundesrepublik Deutschland aus:

Informationsfunktion, indem die Medien vollständig, objektiv und verständlich über Geschehnisse und Meinungen berichten;

Artikulationsfunktion, indem die Medien Meinungen wiedergeben, wie sie in der Bevölkerung bestehen;

  • Kritik- und Kontrollfunktion gegenüber Regierung, Parteien und anderen Entscheidungsträgern, wobei Medien auch moralisieren.11

Diese Einschätzung der Medien zieht sich - wenn auch immer wieder leicht modifiziert - durch die Politikwissenschaft.12 Nur vereinzelt tauchen Aussagen auf wie: „Schließlich darf der Aspekt der Unterhaltung nicht übersehen werden.“13 In der Regel gelten die normativ geprägten Annahmen als akzeptiert und selten wird empirisches Material herangezogen14, wie in der Kommunikationswissenschaft üblich. Die definierten Funktionen werden kaum hinterfragt und näher untersucht15, sondern akzeptiert. „Die Massenmedien vermitteln die Kommunikation der Regierten untereinander und mit den Regierenden, innen- wie außenpolitisch.“16 So besitzen die Funktionsdefinitionen Gültigkeit, die schon vor 40 Jahren identifiziert wurden.

Ein Studium des aktuellen Forschungsstandes zeigt, dass zwar dem Einfluss der Massenmedien auf die Politik und ihrer Institutionen nachgegangen wird, dies aber nur vereinzelt und nicht mit einem ausgewiesenen Schwerpunkt innerhalb der politischen Wissenschaften.17 Es sind mehrheitlich Kommunikationswissenschaftler, die sich Fragen zur Funktion und Leistung der Massenmedien in der Gesellschaft annehmen.18

Die politikwissenschaftlichen Funktionen weisen den Medien innerhalb eines Input-Output-Systems eine Rolle zu, die immer wieder vom Paradigma des Wahrheits- und Objektivitätsgedankens geprägt ist. „Die hauptsächliche Funktion der Medien liegt zuvörderst darin, möglichst umfassend und objektiv zu informieren. [...] Außerdem kommt der Kontrollfunktion der Medien deshalb eine herausragende Bedeutung zu, weil politische Entscheidungen in ihrer Tragweite nur beurteilt werden können, wenn sie in der Öffentlichkeit mittels der Medien permanent zur Diskussion gestellt werden.“19 Der Begriff der Massenmedien, vor allem aber der der „Massenkommunikation“ fand in den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts Eingang in den deutschen Sprachgebrauch. Allgemein betrachtet versteht man darunter politische, ökonomische, soziale und kulturelle Prozesse, die durch das Vorhandensein von klassischen Massenmedien wie Zeitung, Zeitschrift, Hörfunk und Fernsehen ausgelöst werden und die sich in den Massenmedien selbst spiegeln. In einem engeren Sinne versteht man unter Massenkommunikation: von professionellen Medienkommunikatoren (also von Journalisten, Moderatoren, Kommentatoren, Entertainern etc.) öffentlich, indirekt, über technische Medien (Presse, Radio, Fernsehen) und weitestgehend einseitig an eine Vielzahl von Menschen gerichtete Aussagen (informierender, bildender, überredender, werbender oder unterhaltender Natur), die von ihren Empfängern entschlüsselt sowie mit Sinn verbunden und mit Bedeutung versehen werden.20

Diese Arbeit beschränkt sich dabei auf die überregionalen Printmedien. Zwar mag das Fernsehen für das politische System von größerer Bedeutung innerhalb des Mediensystems sein. Dennoch spielen Printmedien insgesamt weiterhin eine bedeutsame Rolle innerhalb des Mediensystems. Der Großteil der politischen Journalisten arbeitet etwa für Printmedien.


In der Zwischenzeit hat eine starke Professionalisierung, Dynamisierung und Ausweitung des Mediensektors stattgefunden. Dennoch werden die Funktionen nicht weiter hinterfragt. Sie werden sogar idealtypisiert. Unterstellt werden häufig weiterhin die Definitionen von Weidenmann/Kaltefleiter: „Die Medien geben das Sprachrohr ab, durch das die Regierung und das Volk sich zu verständigen suchen. Einmal berichten sie über die politischen Probleme, wie sie die Regierung oder die Opposition sieht. In gleicher Weise informieren sie aber auch die Regierung über Probleme, die dem Volk oder bestimmten Gruppen relevant erscheinen.“21 Gelingt dies nicht, kommt es zu Kritik. Pilz/Ortwein beklagen etwa die schwache Kommunikationsfunktion der Plenardebatten im Deutschen Bundestag. Sie hätten kaum Bedeutung, da kaum Abgeordnete im Plenum vertreten seien und die Redner die Situation eher zur Selbstdarstellung denn zur Erklärung politischer Sachverhalte nutzten. „Auch die Medien tragen nicht gerade zur Verstärkung der Kommunikationsfunktion des Parlaments bei. Die Präsentation von Regierungsvorhaben sowie die kontroverse Diskussion und die Abstimmung über Gesetzesvorhaben wecken mehr öffentliches Interesse als die Erläuterung und das Aufdecken schwieriger Problemzusammenhänge.“22

Ellwein widmet den Medien zumindest ein Unterkapitel und begründet dieses Vorgehen nicht zuletzt mit der Tatsache, dass sich Deutschland auf dem Wege in die Informationsgesellschaft befinde: „[...] so bedarf es sicher weitergehender Überlegungen, will man verhindern, dass Massenkommunikation und Medienpolitik nur aus der Marktperspektive betrachtet werden, ihre kulturellen und ethischen Implikationen hingegen unberücksichtigt bleiben.“23 Allerdings beschränkt auch er sich auf die klassische Sichtweise: „Einen erheblichen Bedeutungsgewinn haben demgegenüber die Medien erfahren, gleichgültig, ob sie ein Instrument bieten, das die Parteien mehr oder weniger geschickt benutzen können, oder ob sie selbst eine kritische Funktion bewahren.“24

Die Idealtypisierung führt zwangsläufig in ein Dilemma: Kritik gegenüber den Medien tritt auf, weil sie die politisch zugewiesenen Funktionen nicht erfüllen; sie werden – neben der Politik - für die „Politikverdrossenheit“25 verantwortlich gemacht oder gar für eine „Videomalaise“, wobei hier speziell dem Fernsehen Verantwortung zugewiesen wird.26 Objektivität ist das Maß, entsprechend wird die Funktionserfüllung durch die Medien an der Bereitstellung zutreffender Informationen gemessen.27 Medien wird vorgeworfen, sie hätten


  • den Trend zur Vereinfachung;

  • die Art der journalistischen Auswahl orientiere sich nach dem „Nachrichtenwert“ (Neophilie);

  • sie bestimmten die Themen der Politik und Diskussionen.28

Journalisten selber werden kritisch betrachtet und als „angepasste Außenseiter“ betrachtet.29 Dieses Wahrheits- und Objektivitätspostulat legt den Schluss nahe, dass Medien bei Nichterfüllung ihre gesellschaftliche Legitimation verlieren beziehungsweise das politische System destabilisieren.

In neuerer Zeit registriert die Politikwissenschaft mehr und mehr Versuche des politischen Systems, Medien zu instrumentalisieren. Verstärkt wird über das „Aspektemanagement“ der Parteien geforscht, bei dem sogenannte „spin doctors“ versuchen, die Berichterstattung im Sinne der „Kunden“ zu lenken.30 Hier differenzieren die politischen Wissenschaften im Rahmen der politischen Kommunikation zwischen Darstellungs- und Entscheidungspolitik.31 Die Darstellungspolitik ist dabei die Kunst, Kausalitäten zu konstruieren. „Politisches Handeln ist in Demokratien zunehmend kommunikationsabhängiger geworden.“32 Handlungsfähigkeit wird so beschrieben, weniger die tatsächliche Handlung. Parteien, Kandidaten, Regierende wie Opposition präsentieren sich der Öffentlichkeit und symbolisieren damit Inhalte. Darstellungspolitik ist die Politik, die über Medien vermittelt wird. So wie Medien nur über einen kleinen Ausschnitt des politischen Betriebs berichten und die meisten Entscheidungen in der Öffentlichkeit keine weitere Beachtung finden33, beschränkt sich Darstellungspolitik auf symbolische Politik.

Auf der anderen Seite beobachtet die Politikwissenschaft Entscheidungspolitik. Kennzeichnend für sie sind vor allem Entscheidungsverfahren sowie die Kommunikationsstrategien hin zur Entscheidung. In der Regel kann unterstellt werden, dass die Öffentlichkeit erst möglichst spät über eine (potenzielle) Entscheidung informiert wird.34 In der politischen Vorfeldarbeit zeigt sich, dass öffentliche Kommunikation erst dann sinnvoll erscheint, wenn Mehrheiten im politischen System organisiert worden sind, um Kritik und Protesten bei der Durchsetzung der Entscheidung stand zu halten.

Die Differenzierung zwischen Darstellungs- und Entscheidungspolitik lässt sich am Beispiel der SPD illustrieren. Ihr Bundeskanzlerkandidat wurde nach dem Bundestagswahlsieg 1998 gemeinhin als „Medienkanzler“ tituliert, weil die SPD einen professionellen Wahlkampf geführt hatte. In der Regierungsverantwortung musste die Partei feststellen, dass die Medien eigenen Gesetzmäßigkeiten folgen und sich nicht steuern lassen. Das legt die These nahe, dass Politik nicht in der Lage ist, Medien – wenn überhaupt - in ihrem Sinne zu lenken, etwa - und vor allem - wenn es um die Durchsetzung politischer Ziele geht. Die Verbreitung politischer Inhalte und Ziele scheint sich weder steuern noch lenken zu lassen. Gleichzeitig bewirkt seit dem Regierungsumzug auch die Konkurrenz der Medien, dass sich die Berichterstattung wandelt. Exklusivität erhält Vorrang vor Hintergrund, womit sich die Berichterstattung hin zur politischen Vorfeldarbeit verlagert, was womöglich Funktionsstörungen im politischen System provoziert.

Abbildung 1: Medien im Umbruch

Über die neue Situation in Berlin berichtet Tissy Bruns, Vorsitzende der Bundespressekonferenz:

„Die Annahme, dieser Umzug sei nicht viel mehr als die Verlagerung der Bonner „Käseglocke“ 600 Kilometer ostwärts, hat schon das erste Berlin-Vierteljahr widerlegt. Stattdessen: Viele gemeinsame Klagen über lange Wege, unklare Logistik, das raue Berliner Pflaster. Und gegenseitige Vorwürfe: „Meutenverhalten“ nennen Politiker das Auftreten einer Presse, die sich in Form einer vielbeinigen und -armigen Kamera-Krake über Minister und Abgeordnete hermacht. „Inszenierungen“, klagen die Journalisten über die Politiker-Attitüde, vor den schönen Berliner Kulissen Kurz-Statements in die vielen Kameras zu sprechen, über deren Zudringlichkeit man sich im nächsten Atemzug beschwert.

Der hektische Anfang liegt hinter uns und manches hat sich gemäßigt, was Misstrauen und Spannungen ausgelöst hat. Doch bleibt das Gefühl: Berlin hat das alte Gefüge, die alte Bonner „Nähe“ zwischen Politik und Medien, aufgelöst und das Regelwerk dieser Beziehung gelockert, das im vertrauten Mit- und Gegeneinander für bestimmte Distanzierungen gesorgt hat. Der Grund dafür ist nur zum geringeren Teil in Berlin zu suchen. Die eigentliche Erklärung lautet: Durch den Umzug sind wir mitten im digitalen Medien-Zeitalter gelandet, das in Bonn nur gedämpft zu spüren war. Medien und Politik befinden sich im Umbruch. [...]

Wenn „zu viel Nähe“ das bezeichnende Stichwort für die Bonner Politik-Medien-Beziehung war, dann heißen die drei bezeichnenden und folgenreichen Begriffe für Berlin: Tempo, Konkurrenz, Dominanz des Bildes über das Wort.“

Quelle: Bruns 2001 (Online-Ausgabe).

Diese Beobachtungen waren Anlass, die Diskrepanz zwischen politischen Ansprüchen gegenüber Medien einerseits und Leistungen der Medien für das politische System andererseits genauer für den aktuellen Zeitraum 1998-2000 zu untersuchen. Dabei sein angemerkt, dass die politische Kultur eines Landes maßgeblich Einfluss hat auf seine politische Kommunikation. Entsprechend fällt es schwer, etwa Erfahrungen aus den USA zu übertragen. So sorgt etwa die Parteienlandschaft der USA für einen anderen Umgang der Politik mit Medien. Entsprechend schwierig ist es im Rahmen dieser Arbeit, Erkenntnisse der US-Wissenschaft zu übertragen. Dies auch, obwohl der „Amerikanisierung der Wahlkämpfe“ das Wort geredet wird.35 „Im Mittelpunkt steht die These, dass sich die gesamte politische Kommunikation eines Landes dem Diktat der öffentlichkeitswirksamen Selektions- und Aufmerksamkeitsregeln der Massenmedien unterwirft“.36

1.2. Fragestellung

Um die Probleme der Politikwissenschaft im bezug auf die Funktionen der Medien aufzulösen bedarf es einer anderen Herangehensweise. Im Gegensatz zur verbreiteten Handlungstheorie verspricht die Systemtheorie nach Luhmann ein besseres Verständnis. Nach ihr entscheidet Kommunikation über die Funktionsweise von Systemen. „Soziale Systeme produzieren und reproduzieren sich durch Kommunikation.“37 In der Luhmann’schen Systemtheorie erklärt sich alles zirkulär, nicht linear. Einzelne Komponenten der Theorie bauen auf anderen auf, die wiederum auf den erstgenannten aufbauen, um zu existieren. Gesellschaft differenziert sich nach Systemen, wobei das Politische eines von vielen ist. Daraus abgeleitet sind andere Systeme nicht zwingend Subsysteme des politischen, wodurch eine neue Perspektive gewonnen werden kann.

Ein entscheidender Aspekt der neueren Systemtheorie ist die Differenzierung von System und Umwelt für die Entstehung eines Systems. „Die Umwelt ist ein notwendiges Korrelat selbstreferentieller Operationen [..].“38 Die Umwelt selber ist nicht naturalistisch zu verstehen, sondern vielmehr als analytische Einheit, die durchaus für andere Systeme ihre Binnenstruktur darstellen kann. Nicht Handlung ist das bestimmende Element eines Systems, sondern allein Kommunikation.39 Hier ist direkt ein weiteres, bedeutsames Merkmal der Systemtheorie im Luhmann’schen Sinne angesprochen. Soziale Systeme bestehen aus Kommunikation, nicht aus Menschen.40 Seine Elemente werden zugeordnet zu kommunikationsfähigen Komplexen. Kommunikation bedarf dabei der Informationen sowie eines Senders und eines Empfängers.41 Individuen gelten hierbei als psychische Systeme, die sich aus Bewusstseinszusammenhängen konstituieren, während sich soziale Systeme aus einem Kommunikationszusammenhang heraus konstituieren. Soziale System operieren autonom, können aber Irritationen in anderen Systemen auslösen.

Aus dieser Sicht, könnten die Systeme Politik und Medien primär danach streben, Anschlussfähigkeit herzustellen. Politik würde demnach versuchen, eigene Kommunikation gegenüber den Medien wirkungsvoll zu platzieren. Medien dagegen würden durch ihre Kommunikation neue Kommunikation und damit Resonanz erzeugen wollen. Diese Perspektive kann helfen, die Kritik aus der politischen Wissenschaft gegenüber den Medien neu zu überdenken und eventuell zu Lösungen der Kritik zu gelangen.

Übergeordnet stellt sich die Frage: Welche Rolle spielen Medien bei politischen Entscheidungsprozessen. Die Systemtheorie soll dabei in dieser Arbeit nicht abschließend erfasst werden. Sie dient vielmehr als Chance, Fragestellungen aus einer anderen Perspektive zu betrachten und so eine Option auf neue Lösungen zu bieten. Anhand der Unterscheidungen bewegt sich die Fragestellung dieser Arbeit. Kreuztabellarisiert ergibt sich folgende Matrix:

Abbildung 2: Politik-Medien-Matrix

Gesellschaftliche Perspektive


I


II

Personenbezogene Perspektive


III


IV



Funktion


Anschlussfähigkeit


I = Politische Funktion der Medien

II = Soziale Dynamik des Systems Medien

gegenüber dem politischen System

III = Professionalität politischer Journalisten im

sozialen System Medien

IV = Resonanzfähigkeit der Arbeit politischer

Journalisten

Quelle: Eigene.

Das Verhältnis des Systems Medien und des Systems Politik lässt sich so anhand von vier Themenfeldern herausarbeiten:

Der erste Quadrant spiegelt den Status quo der Einordnung der Medien und die ihnen zugeordneten Funktionen innerhalb der Politikwissenschaft.

Der zweite Quadrant beschreibt die Leistung der Medien aus Sicht der Systemtheorie nach Luhmann.

Daran anschließend folgen zwei Quadranten, die sich zum einen mit dem Selbstverständnis der Journalisten als Personen innerhalb des sozialen Systems Medien beschäftigt (III) und zum anderen mit den Karrierechancen, also der Anschlussfähigkeit der eigenen Arbeit bei Journalisten (IV).


Aus funktionsanalytischer Sicht stellt sich die Frage: Welche Funktion hat der Journalismus im politischen System? Systemtheoretisch gefragt: Welche Leistung erbringt das Mediensystem innerhalb der Gesellschaft? Wie sieht die Dynamik im Zusammenspiel des politischen Systems und des Mediensystems aus? Welche Konflikte entstehen hierbei? In Bezug auf die Anschlussfähigkeit muss gefragt werden: Wie muss der Journalist kommunizieren, um erfolgreich, also anschlussfähig zu sein? Welche Nachrichten sorgen für Resonanz?

1.3. Aufbau der Arbeit

Zunächst wird nach dem einleitenden Teil in Kapitel 2 dieser Arbeit theoretisch näher begründet, weshalb der Systemtheorie im Luhmannschen Sinne der Vorzug vor der handlungstheoretischen Perspektive gegeben wird. Dabei zeigt sich, dass Kommunikation als zentrales Element des Medien- wie auch das politischen Systems zu sehen ist und weniger die Handlungen einzelner Akteure.

Im dritten Kapitel soll zur Beantwortung der Fragestellung beschrieben werden, aus welchen Gründen der Journalismus zu seiner herausragenden Stellung in der modernen Gesellschaft gelangte und deshalb auch Beobachtungsobjekt der Politikwissenschaften geworden ist – beziehungsweise von ihr als Teil des politischen Systems betrachtet wird. Zur Historie der Medien in Deutschland liegen eine Vielzahl von Publikationen vor. Neben medienhistorischen Abhandlungen existieren Zeitungsmonografien, Abhandlungen über Zeitungsgattungen, Ländervergleiche so wie auch die Behandlung rechtlicher, juristischer und ökonomischer Fragen rund um die Medien. Das Kapitel beschreibt die historische Herausbildung der Massenmedien in Deutschland. Dabei werden weder juristische, ökonomische oder medienspezifische Fragestellungen untersucht, sondern vielmehr gezeigt, wie sich mit der Entstehung der modernen Gesellschaft auch die Medien entwickelt und als eigenständiges System konstituiert haben. Mit dem technologischen Fortschritt und der steigenden Komplexität in der Gesellschaft entstand das soziale System Medien, dass seine spezifische Funktion innerhalb der Gesellschaft zu erfüllen hat. Diese Beschreibung erfolgt unter Berücksichtigung der jeweils spezifischen politischen Entwicklung Deutschlands. Aus diesem Grunde ist ein systemtheoretisch begründeter, historischer Rückblick geboten, bei dem ein kurzer Abriss vom Wandel des absolutistischen Herrschaftssystems und der feudalen Gesellschaft hin zur Moderne skizziert wird. Dabei wird deutlich, dass die steigende Komplexität der modernen Gesellschaft die Herausbildung eigenständiger Systeme erzwingt, unter anderem auch des Mediensystems.

Kapitel 4 der Arbeit geht den Funktionen der Medien aus Sicht der Politikwissenschaft nach, wobei zentrale Elemente wie die der Pressefreiheit, aber auch eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der öffentlichen Meinung erfolgt. Dabei werden ebenfalls Art und Struktur der politischen Kommunikation beschrieben, deren Vielfalt, wie auch die Probleme der Politikvermittlung im politischen System. Es werden unterschiedlichen Formen politischer Kommunikation beschrieben und gezeigt, dass Medien in diesem Strauß ein Instrument unter vielen darstellen.

In Kapitel 5 folgt die systemtheoretische Beschreibung der Medien und deren Selektionskriterien. Zur Komplettierung des theoretischen Fundus erfolgt hier eine Darstellung der klassischen Theorien zu den Selektionskriterien der Medien. Die von der Politikwissenschaft den Medien zugewiesenen Funktionen werden aufgrund der Anerkennung eines eigenen Systems mit einer eigenen Systemlogik reformuliert. Ebenfalls Anwendung findet die Systemtheorie auf das politische System, das ebenfalls nach eigenen Selektionskriterien operiert. Am Ende des Kapitels wird gezeigt, wie Politik aber auch Medien immer wieder durch Adaption der Systemlogiken versuchen, im jeweils anderen System Resonanz zu erzeugen. Das Phänomen des „Spin doctoring“ als Ausdruck der Professionalisierung politischer Kommunikation wird dabei vertieft untersucht.

Untermauert wird die theoretische Problematisierung anhand des empirischen Teils, der sich in den Kapiteln sechs und sieben anschließt. Zu diesem Zweck findet die Auswertung einer qualitativen Umfrage unter Politikern, Pressesprechern und Journalisten auf Bundesebene (also in Bonn beziehungsweise Berlin) statt. Die Befragten sollten zur Rolle der Medien, ihrer eigenen Rolle und den Wechselwirkungen beider Systeme Stellung beziehen (Kapitel 6). Aus der Umfrage wurden Druckpunkte der Medien abgeleitet, nach denen Medien entscheiden, welche politischen Themen publiziert werden und welche nicht. Diese Druckpunkte wurden in einem zweiten Schritt mittels einer Inhaltsanalyse zur Medienberichterstattung genauer anhand einer Inhaltsanalyse zu ausgewählten Themen der ersten Jahre der rot-grünen Koalition auf Bundesebene untersucht (Kapitel 7). Aus dem hieraus resultierenden Verständnis der Funktionsprinzipien journalistischer Kommunikation ergeben sich tiefere Einblicke in das Zusammenspiel mit anderen gesellschaftlichen Systemen, insbesondere der Politik.

Kapitel 8 stellt Besonderheiten für Medien und Politik dar, speziell den Multiplikatoreffekt der Leitmedien und das differenzierte Kommunikationsverhalten von Regierung und Opposition.

Zum Abschluss erfolgt die Ableitung und abschließende Interpretation der Fragestellung (Kapitel 9). Es ergeben sich spezifische Leistungen des sozialen Systems Medien gegenüber dem politischen System; eine soziale Dynamik des politischen und des Systems Medien; ein Selbstverständnis des sozialen Systems Medien sowie die Resonanzfähigkeit journalistischer Arbeit.

Da auch heute, an der Bruchstelle von der modernen Gesellschaft industriellen Typs hin zum virtuellen, computerdominierten Typs, kein Ende der zunehmenden Komplexität zu erwarten ist, muss sich auch die Politikwissenschaft Gedanken über Strategien machen, um dieser Komplexität Erkenntnisse gegenüberzustellen. Um das Zusammenspiel politischer Entscheidungsfindung und Medien und deren möglicher gegenseitigen Beeinflussung näher zu beleuchten, soll diese Arbeit einen Beitrag leisten.